Prioritäre Stoffe
Überblick – Der gute chemische Zustand nach Artikel 16 WRRL
Ein zentrales Ziel der WRRL ist es, die Gewässerverschmutzung durch Stoffe zu verhindern, von denen ein besonders hohes
Umweltrisiko ausgeht: die prioritären und prioritären gefährlichen Stoffe. Die Gefahr dieser Stoffe besteht zum einen in ihrer ökotoxikologischen und
humantoxikologischen Wirkung und zum anderen in einer weiten Verbreitung und Verschmutzung der Gewässer. Die Strategie gegen die Gewässerverschmutzung
durch prioritäre Stoffe wird in Artikel 16 der WRRL dargelegt und umfasst immissionsseitige Umweltqualitätsnormen (Grenzwerte) sowie auch emissionsseitige
Begrenzungen. Allerdings bedarf es zur Ausgestaltung dieser Regelungen noch einer Tochterrichtlinie. Dieser kombinierte Ansatz wurde allerdings während der
Verhandlungen über die Tochterrichtlinie in Frage gestellt, da der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission keinerlei emissionsseitige
Regelungen auf EU-Ebene vorsieht.
Als Vorgabe für die Einhaltung eines guten chemischen Zustands einigten sich EU-Parlament und -Rat am 20. November 2001 auf
eine Liste von zunächst 33 prioritären Stoffen beziehungsweise Stoffgruppen, für die innerhalb von zwei Jahren EU-weite Regelungen zur Begrenzung von Einleitung,
Emissionen und Verlusten von der EU-Kommission vorgeschlagen werden sollten (Entscheidung 2455/2001/EG). Von diesen Stoffen und Stoffgruppen sollen die elf als
"prioritär gefährliche Stoffe" klassifizierten Substanzen innerhalb von 20 Jahren nach der Verabschiedung der oben genannten Regelungen durch Parlament und Rat gänzlich aus der aquatischen Umwelt verschwinden
("phasing out"; vgl. Tabelle).
Für die Umsetzung der WRRL-Anhänge II und V, die sich auf weitere Stoffe im Zusammenhang mit dem guten chemischen Zustand beziehen, haben die Bundesländer Verordnungen mit Umweltqualitätsnormen erlassen.
Am 24. Dezember 2008 wurde die Richtlinie 2008/105/EG, die sogenannte Prioritäre-Stoffe-Tochterrichtlinie der WRRL, im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Damit verbunden war die Festsetzung von Qualitätsnormen für prioritäre Stoffe sowie deren Einstufung in prioritäre und prioritär gefährliche Stoffe. Die Liste der 33 Stoffe prioritären Stoffe bildet den Anhang X der WRRL, weitere Stoffe wurden zur Prüfung ihrer möglichen Einstufung als prioritär in Anhang III WRRL aufgenommen.
Darüber hinaus wurde in der Prioritäre-Stoffe-Richtlinie festgelegt, dass die Richtlinien 82/176/EWG (zu Quecksilberableitungen aus Alkalichloridelektrolyse), 84/156/EWG (zu Quecksilberableitungen ohne Alkalichloridelektrolyse), 83/513/EWG (Cadmiumableitungen), 84/491/EWG (Ableitungen von Hexachlorcyclohexan) und 86/280/EWG (Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe im Sinne der Liste I des Anhangs zur Richtlinie 76/464/EWG) mit Wirkung vom 22. Dezember 2012 aufgehoben werden.
Die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte durch Erlass der Oberflächengewässerverordnung am 20. Juli 2011, die zugleich, der mit dem Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009 eingeführten konkurrierenden Gesetzgebung folgend, die 16 Länderverordnungen zur Umsetzung der WRRL durch eine einheitliche Verordnung auf Bundesebene ablöste.
Mit der Richtlinie 2013/39/EU, veröffentlicht am 24. August 2013, wurde die Liste der prioritären Stoffe unter teilweise erheblicher Verschärfung der Umweltqualitätsnormen auf 45 erweitert. Seither gehen die Länderbehörden davon aus, dass in Deutschland kein Oberflächengewässer("-körper") den guten chemischen Zustand erreicht. Für prioritäre-Stoffe-Kandidaten für die EU-weit keine ausreichenden Monitoring-Daten vorliegen, wurde eine Beobachtungsliste (Watchlist) eingeführt. Gleichzeitig wird die Kommission aufgefordert, bis zum 13. September 2015 einen strategischen Ansatz gegen die Verschmutzung von Gewässern durch pharmazeutische Stoffe vorzulegen.
Zur Umsetzung in deutsches Recht ist eine Novelle der Oberflächengewässerverordnung vorgesehen.
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Prioritäre-Stoffe-Tochterrichtlinie – ein Rückschritt im Gewässerschutz?
Bei der Ausgestaltung der Regelungen zu den prioritären Stoffen kam es zu erheblichen Verzögerungen. Darüber hinaus sind massive inhaltliche
Abschwächungen und sogar Rückschritte gegenüber bereits geltenden Regelungen zu befürchten. Einen Vorschlag für eine Tochterrichtlinie
legte die EU-Kommission erst am 17. Juli 2006 vor. Dieser Vorschlag beinhaltet jedoch – entgegen den WRRL-Vorgaben – keinerlei Regelungen für Emissionsbegrenzungen
auf EU-Ebene. Er umfasst lediglich Umweltqualitätsstandards (diese sollten nach WRRL bereits bis 20. November 2003 vorliegen) und eine Einstufung der
zu überprüfenden prioritären Stoffe (diese hätte bereits bis 20. November 2002 erfolgen sollen).
Die Abstimmung der Tochterrichtlinie Prioritäre Stoffe erfolgte zwischen EU-Rat und -Parlament. Das Parlament hatte den Richtlinienvorschlag
der EU-Kommission am 22. Mai 2007 in erster Lesung behandelt, für Anfang 2008 war die zweite Lesung vorgesehen.
Die Prioritäre-Stoffe-Richtlinie wurde im April 2008 im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments weiterverhandelt. Nachdem der Umweltministerrat
nur wenige der Änderungen des Parlaments aus der ersten Lesung in seine gemeinsame Position übernommen hatte, setzte sich die EP-Berichterstatterin Anne Lapperouze dafür ein,
eine Reihe von Änderungsanträgen in der zweiten Lesung abermals beschließen zu lassen. Hierzu gehörte die Einführung von emissionsseitigen Maßnahmen, um - anders als von der
Kommission vorgeschlagen und auch vom Rat beabsichtigt - den kombinierten Ansatz der WRRL nicht aufzugeben. Emissionen prioritärer Stoffe sollen demnach mit integrierten
Plänen zur Emissionsbegrenzung schrittweise reduziert beziehungswweise bei den prioritär gefährlichen Stoffen gänzlich eingestellt werden. Dieses so genannte "phasing out"
der prioritär gefährlichen Stoffe sollte nach den Vorstellungen des Parlaments bis 2015 erfolgen, der Rat setzte hierfür keine Frist.
Außerdem hatte das Parlament die Liste der prioritären Stoffe um 28 Stoffe ergänzt, die nun erneut vorgeschlagen wurden. Uneinigkeit mit dem Rat herrschte
auch beim Umgang mit den Übergangszonen der Überschreitung, den Bereichen, innerhalb derer die Schadstoff-Grenzwerte überschritten werden dürfen.
Zum Download finden Sie hier
Die Liste prioritärer Stoffe der EG-WRRL wurde nach einem im Artikel 16 der WRRL festgelegten Verfahren aufgestellt und soll alle vier
Jahre überarbeitet werden. Sie ersetzt die Liste von 129 prioritären Stoffen der Kommissionsmitteilung vom 22. Juni 1982, die auf der alten
EU-Richtlinie 76/464 zu gefährlichen Stoffen beruht. Die Überprüfung der ersten Liste der prioritären Stoffe war ursprünglich
bis 20. November 2005 vorgesehen.
Grundsätzliche Kritik am Einzelstoffansatz bei den prioritären Stoffen übt der BBU, der darüber hinaus auch kritisiert,
dass sich die Beprobung der Gewässer auf die im Wasser gelösten Stoffe beschränkt und nicht auch auf die wesentlich wichtigeren
partikulär gebundenen Schadstoffe bezieht (s. hierzu die BBU Wasser-Rundbriefe 838 und 852).
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WRRL und Meeresschutzabkommen: die Problematik prioritärer Stoffe
Zum Verhältnis der prioritären Stoffliste der WRRL und der Listen der Meeresschutzabkommen für die Nord- und
Ostsee finden Sie hier Informationen.
Für den Bereich des Nord-Ost-Atlantiks wurde das
OSPAR-Abkommen verabschiedet, das die Meeresumwelt im Gebiet vor gefährlichen Substanzen schützen soll. Dabei geht das Abkommen wesentlich weiter
als die WRRL. Für die Nordseeküste sind somit die – im Vergleich zur Wasserrahmenrichtlinie – strengeren Bestimmungen umzusetzen. Mit der "Umsetzung des OSPAR-Zieles für gefährliche Stoffe im Rahmen der
Wasserrahmenrichtlinie" befasste sich ein Vortrag von Karoline Schacht (von der Aktionskonferenz Nordsee), den Sie hier downloaden können.
Einen Artikel zum Richtlinienvorschlag finden Sie in der WRRL-Info 12.
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Prioritäre Stoffe in der Bestandsaufnahme
Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme 2004 in Deutschland zeigen in Hinblick auf
die prioritären Stoffe Umsetzungsdefizite. Es bestehen Datenlücken zur Einschätzung des chemischen
Zustandes, so dass meist grobe Abschätzungen zur Beurteilung vorgenommen wurden.
Die derzeitigen Stoffeinträge stammen vorwiegend aus diffusen Quellen (Landwirtschaft, Emissionen aus der Luft).
Außerdem stellen weitverbreitete Substanzen wie hormonell wirkende Umweltchemikalien oder
Arzneimittelrückstände aus Abwässern der Haushalte eine zunehmende Belastung dar.